Eine Liebeserklärung an die Tunte
(Titelbild: Hilde Muffel)

Rund 500 Gäste waren am Donnerstagabend ins Stadtmuseum Berlin gekommen, um trümmernde Berliner Polittunten zu erleben – eine Veranstaltung des Queeren Kulturhauses E2H in Kooperation mit dem Märkischen Museum, kuratiert von Jens Kraushaar und Patsy l’Amour laLove. Im bestens besuchten Museum herrschte von Beginn an prächtige Stimmung.

e2h Berlin

Foto: Holger Radtke

Der niederländische Kunsthistoriker Paul Spies, seit 2016 Museumsdirektor der Stiftung Stadtmuseum Berlin, eröffnete den Abend und hieß das queere Berlin ausdrücklich willkommen. “Das Haus ist für alle und soll auch von allen genutzt werden“, so Spies. „Das ist Euer Haus, Ihr seid hier willkommen. Das Stadtmuseum ist ein Ort, an dem immer alles möglich war und auch weiter sein soll.“

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Foto: e2h

Als Initiator dieses Abends begrüßte Jens Kraushaar die Gäste, der gerade erfolgreich sein wissenschaftliches Volontariat beim Stadtmuseum abschließt. „Dass ich mal eine Tuntenshow hier organisieren würde, hätte ich mir beim Beginn meiner Ausbildung nicht gedacht“, sagte Kraushaar und erinnerte in seiner Rede an die Gründung des Hirschfeld-Instituts vor 100 Jahren sowie an die Gründung der Homosexuellen Aktion West-Berlin (HAW) und wies daraufhin, dass queere Themen bislang in Berliner Museen eher marginalisiert wurden.

Umso wichtiger dieser Abend, der die Tunte hochleben ließ. „Was die westdeutschen Schwulenaktivisten herrlich beherrschten, war die Demonstration des Andersseins“, so Patsy l’Amour laLove. „Mit den unausstehlich schönen Tuntenaktionen in der Öffentlichkeit strich man das integrationistische Credo viele Homosexueller So schlimm sind wir doch gar nicht und rief aus: Wir sind noch viel schlimmer!“

„Hello Gay Sisters!“

Bernd Gaiser (Tuntenname: Daisy) erinnerte in seinem Redebeitrag daran, dass sich Tunten in den 70er Jahren den Vorwurf gefallen lassen mussten, ob ihres schrillen Auftretens zur Verfälschung des Bild des schwulen Mannes als solchem beizutragen. Entspannter dagegen die Reaktionen der schwarzen Anhänger der Black-Panther-Bewegung bei gemeinschaftlichen Aktionen in Berlins Straßen. „Sie begegneten uns mit geballter Faust und dem Gruß: Hello Gay Sisters! Als Balsam für unsere Seele“, so Gaiser.

Gaiser berichtete davon, die Plenen der HAW in den 1970er Jahren oft nur strickend überstanden zu haben. Im Sommer 1974 etwa scheiterte die Tuntenfraktion in der HAW mit dem Vorschlag zur Einführung des Rosa Winkel, getragen wurde er schließlich aber dennoch „gemeinsam mit all denen, die nicht durch letzte Relikte und Zuckungen schwulen Selbsthasses darin beeinträchtigt waren, oder die ideologische Verblendung derjenigen, die damals die Theorie vertraten, es in der Unterdrückung der Homosexualität mit einem Nebenwiderspruch im Klassenkampf zu tun zu haben“.

Im Rahmen einer weiteren gemeinschaftlichen Aktion habe die Tuntenfraktion in der HAW schließlich dazu beigetragen, diese 1977 zu begraben, um den Weg zur Gründung des Berliner SchwuZ freizumachen.

„Tunten lassen sich nicht spalten.“

Ohne die Unterstützung der Tunten in der HAW hätten sich er und sein Freund und Weggefährte Andreas Pareik als Initiatoren des ersten Berliner CSD 1979 wohl kaum derart weit vorgewagt, so Gaiser. Ohne damals zu ahnen, damit eine Tradition zu begründen, aber in der Absicht, die Berliner Community zehn Jahre nach Stonewall gemeinsam auf die Straße zu kriegen, wenn nicht schon unter einen Hut. Feststehe aber damals wie heute: „Tunten lassen sich nicht spalten.“

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Angela Schmerfeld (Foto: Michael Stehle)

Aus lesbischer Sicht sprach die Queere Aktivistin und Event Producerin Angela Schmerfeld. Was denken Lesben über Tunten? Schmerfeld brachte diverse O-Töne mit. „Ne Menge Schminke im Gesicht, bunt und schrill und irre hohe Schuhe. Also Schuhe, in denen ich mir die Beine brechen würde – und zwar alle beide“, sagt eine. „Tunten sind riesig groß, sehr aufgedonnert, sehr extrovertiert und möchten immer im Mittelpunkt stehen. Wobei, das liegt wahrscheinlich daran, dass ich nur welche kenne, die auftreten“, erklärte eine andere. Und: „Sie spielen stärker mit Klischees, als sie auf Durchschnittsfrauen heutzutage tatsächlich zutreffen. Also eigentlich mit veralteten Klischees, aufgedonnert, extrem geschminkt, kurzer Rock und so.“

Was Lesben und Tunten gemeinsam haben? Schmerfeld dazu: „Wahrscheinlich, dass beide irgendwann diskriminiert werden, weil sie irgendwie weiblich sind.“

Es gehe Tunten nicht einfach nur um Klamotten und Verhaltensweisen. Viel wichtiger sei, was dahinter steht: „Das Infragestellen von Stereotypen der Männlichkeit und Weiblichkeit, von Verhaltensnormen für die immer noch dualistisch gedachten Geschlechter, das Infragestellen der Rollen, die diesen Geschlechtern zugedacht sind und überhaupt: das Infragestellen dieses ganzen Rollen-Dualismus an sich und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Ausgrenzungen und Machterhaltungsmechanismen.“

Das ist total feministisch und total geil, und deswegen liebe ich Tunten!

Schmerfelds Fazit: „Tunten eignen sich diese ganzen schrägen Signale der Weiblichkeit an, kombinieren die Netzstrümpfe und falschen Wimpern mit Bartwuchs und schwuler Körperlichkeit, mischen das Ganze mit einem satten Schuss Schamlosigkeit und Sinnenfreude, stöckeln mit ihren Riesenlatschen gazellenartig auf meterhohen Absätzen und lassen als männliche Tussis so dermaßen die Sau raus, dass sämtliche Stereotype über männlich und weiblich als nackter Blödsinn entlarvt werden. Das ist total feministisch und total geil, und deswegen liebe ich Tunten!“

Das ging auch den begeisterten Zuschauer*innen nicht anders – sie verliebten sich spätestens bei der abschließenden Tuntenshow mit HP Loveshaft, Betty BücKse, Luxuria Rosenburg, Tima der Göttlichen und Patsy l’Amour laLove.