Unsere Ausstellung: Lila Wunder 1920 Begegnungen und Verbindungen 2020 sichtbar werden – sichtbar bleiben, konnten wir am 09.10.20 mit einer großen Gruppe von Besucher*innen erfolgreich (analog) eröffnen, mit den Grussworten von Klaus Lederer, Senator für Kultur und Europa (siehe unten).
Die Künstler*innen Traude Bührmann, Claudia Balster & Hannah Goldstein, Stef. Engel, Kerstin Drechsel, Martina Minette Dreier und Heike Schader waren ebenso anwesend wie die diesjährige Preisträgerin für lesbische Sichtbarkeit Katharina Oguntoye.
Die Kuratorin Mesaoo Wrede hielt die Laudatio.
Geöffnet ist die Ausstellung bis zum 14.10. zu folgenden Zeiten:
Do 14 bis 19 Uhr, Fr 15 bis 20 Uhr, Sa 12 bis 16 Uhr
Lesen Sie hier die Grussworte von Klaus Lederer, Senator für Kultur und Europa:
Liebe Mesaoo Wrede,
liebe Katharina Oguntoye,
lieber Jan Feddersen, liebe Christiane Härdel,
liebe Gäste,dass ich heute nicht bei Ihnen, bei Euch sein kann, bedauere ich sehr. Aber das Pandemiemanagement bindet aufgrund des gestiegenen Infektionsgeschehens heute leider all meine zeitlichen Ressourcen. Es sind bedrückende Zeiten, in den wir leben.
Die Ausstellung, die Ihr heute eröffnet, blickt am Beginn der 2020er Jahre 100 Jahre zurück. Zum 100. Mal jährte sich vor wenigen Tagen, am 1. Oktober, das Inkrafttreten des Groß-Berlin-Gesetzes, mit dem Berlin auf einen Schlag nach London und New York zur bevölkerungsmäßig drittgrößten Stadt mit 3,8 Millionen Menschen wurde – eine Zahl, die wir heute noch nicht ganz wieder erreicht haben.
Die Hauptstadt der sich suchenden Weimarer Republik wuchs damals aber nicht nur durch Eingemeindungen, sondern ganz wesentlich, wie heute auch, durch Zuzug. So wurden aus von den sieben hier geehrten Künstlerinnen aus dieser Zeit nur zwei, nämlich Gertrude Sandmann und Jeanne Mammen, in Berlin geboren. Die Einflüsse aus aller Welt öffneten Berlin und begründeten einen Ruf, von dem die Stadt noch heute zehrt.Inwiefern die Künstler*innen, die in den 1920ern in Berlin gewirkt haben, sich als eine Gruppe verstanden haben, ist dabei zweitrangig. Sie haben in dieser Stadt zusammengearbeitet und sich in einer Weise vernetzt, wie das vielleicht vorher nie möglich war. Wobei vernetzen eine sehr heutige Begrifflichkeit ist. Die zentrale Freizeitbeschäftigung damals war der Tanz – es gab Clubs an jeder Ecke, Tanzorchester auf Schiffen, die Ausflugslokale waren allesamt tanzerprobt und es gab Dutzende lesbische Bars in dieser, unserer Stadt. Zu Beginn der 1920er begann sich die schwule und lesbische Szene im Kiez rund um den Nollendorfplatz zu etablieren; da war natürlich das legendäre Eldorado, aber es gab auch das heute nicht mehr ganz so bekannte Eldorado der Frauen, den Schöneberger „Toppkeller“. Ich zitierte eine kurze Schilderung aus Claire Waldoffs Memoiren: „Zum so und so vielten Male ertönte im Laufe des Abends die berühmte ‚Cognac-Polonaise‘, die man auf dem Tanzboden kniend, mit dem gefüllten Cognac-Glas vor sich zelebrierte. Bei dem unparlamentarischen Text dieser Polonaise sträubt sich meine Feder… Zwischendurch erschienen mit großem Hallo begrüßt die Koriphäen der damaligen Zeit: die hinreißende Tänzerin Anita Berber und Celly de Reydt und die schöne Susu Wannowsky und ihre Korona. Jeden Montag stieg diese ‚Pyramide‘ in der Schwerinstraße um neun Uhr abends ab; es war das typische Berliner Nachtleben mit seiner Sünde und Buntheit.“
Ich weiß nicht, wie es Ihnen und Euch bei dieser Passage geht, aber mir wird das Herz schwer, wenn ich an das Tanzen denke, das uns nun schon über ein halbes Jahr fehlt, an das Bunte und Verruchte, das sich schlecht mit Hygienekonzepten verträgt. Die lesbischen, schwulen, queeren Orte dieser Stadt, die kamen und gingen: manche wurden gewaltsam geschlossen. Manche sind heute Legende, aber viele sind vergessen. Was diese Pandemie heute mit unserer Stadt anstellt, mit dem Freiheitsgefühl, für das sie steht, mit den Orten unserer LSBTTIQ*-Community – all das können wir noch lange nicht absehen. Ich bin jedenfalls entschlossen, um jeden dieser Freiräume zu kämpfen – deshalb war es mir auch so wichtig, die Soforthilfe-Programme für die Berliner Clubs und Kulturbetriebe aufzulegen. Denn eines ist sicher: Wir werden um die safer spaces für die Community, um diese queer spaces in unserer Stadt kämpfen müssen. Denn bei der Frage, ob es diese Räume, in denen Lesben, Schwule oder Trans* sich wohl und sicher fühlen können, auch in Zukunft noch gibt, geht es nicht um individuelles Privatvergnügen, dieses vermeintlich Private ist eminent politisch.
Diese Einsicht begann sich auch schon in den 1920er Jahren herauszuschälen, als das im Toppkeller und anderswo ausgelebte Vergnügen flankiert durch literarische Reflexionen in mehreren Zeitschriften, die sich teils recht explizit der Liebe unter Frauen widmeten, wie „Die Freundin“ (die wohl erste lesbische Zeitschrift überhaupt), die „Frauenliebe“ und die „Blätter Idealer Frauenfreundschaften“.
In dieser Stadt, in diesem Umfeld also haben die sieben Künstlerinnen, die im Zentrum dieser Ausstellung stellen, gewirkt. Ganz sicher haben sie mit ihrer Kunst die damalige Zeit geprägt und die Zeit wiederum hat sie geprägt. Sie kamen von überall her und haben etwas Neues geschaffen, das noch heute unser Bild von Berlin bestimmt.
Für einige dieser Frauen war Berlin Durchgangsort für wenige Wochen, viele blieben Jahre. So unterschiedlich wie Ihre Künste waren auch ihre Lebensentwüfe. Aber sie alle eint, dass sie in der ein oder anderen Weise von den Konventionen abwichen, dass sie sich nicht an den überkommenen Vorstellungen orientieren wollten, wie Frauen zu leben haben. Einige von ihnen würden sich heute vielleicht als queer verorten.
Im Nationalsozialismus wurden sie jedoch vor allem als jüdische und/oder lesbische Künstlerinnen verfolgt. Die Nazis haben die Welt, die diese Frauen in Berlin mit schufen, binnen weniger Monate zerstört. Nachdem ihr die Staatsbürgerschaft aberkannt worden war, lebte Else Lasker-Schüler an wechselnden Orten in der Schweiz später in Jerusalem. Hannah Höch konnte in Berlin bleiben, musste aber mit einem Ausstellungsverbot leben. Gertrude Sandmann täusche mit einem Brief einen Selbstmord vor und tauchte unter. Lotte Laserstein lebte im Exil in Schweden. Vor wenigen Wochen habe ich eine Berliner Gedenktafel an ihrem ehemaligen Wohnhaus in Berlin-Wilmersdorf einweihen können.
Die Zeiten sind heute andere, radikal andere. Aber: Ein massives Problem mit Antisemitismus, mit Rassismus, mit Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit haben wir in Deutschland leider auch im Jahr 2020. Berlin ist da keine Ausnahme. Und trotzdem, weil es noch genügend Freiräume für Subkulturen und vergleichsweise angstfreies Verschiedensein der Individuen lässt, ist Berlin auch heute ein Zufluchtsort für marginalisierte Gruppen und lebt auch von jenem Geist, den diese sieben Frauen vor etwa 100 Jahren mit ihrem Leben und Wirken mit geschaffen haben.
Die in dieser Ausstellung verhandelten Themen von Identität und Selbstfindung bleiben zentrale Fragen für alle Menschen – insbesondere aber für Menschen, deren sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität von der Norm der heterosexuellen Zweigeschlechtlichkeit abweicht. Nach wie vor erleben sexuelle Minderheiten vielfältige Diskriminierungen, einen Druck der Rechtfertigung, mindestens aber der Notwendigkeit der Erklärung des eigenen Lebens. Bei allen erreichten Fortschritten gilt das noch heute, besonders etwa für Trans*Personen, die immer noch vor erheblichen Akzeptanzschwierigkeiten stehen, selbst innerhalb der queeren Community, was ich besonders beschämend finde.
Und so bleiben, auch für die jüngeren Generationen von LSBTTIQ*, Vorbilder wichtig als Inspiration für den eigenen Lebensweg. Die Künstler*innen, an die diese Ausstellung erinnert, gehören mit Sicherheit dazu. Dass ihnen künstlerische Positionen von 2020 gegenübergestellt werden, finde ich besonders gewinnbringend für den künstlerischen und emanzipationspolitischen Dialog zwischen 1920 und 2020.
“Sichtbar werden, Sichtbar bleiben!” Welch schönes, treffendes Motto. Und welch große, existenzielle Aufgabe, auch heute.GRUSSWORTE Klaus Lederer, Senator für Kultur und Europa zur Ausstellungseröffnung Lila Wunder am 09.10.20
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