von Daria Majewski

Den Spätsommer und Herbst 2019 verbrachte ich im Archiv. Dort stellte man mir Akten der nationalsozialistischen Staatspolizei zur Verfügung. Die Friseurin und Schneiderin Helene Knabe hatte bereits zu Zeiten der Weimarer Republik eine Firma für Damenwäsche, vor allem für erotische Damenunterwäsche gegründet. Hauptklientel der Firma Hella Knabe waren sog. „männliche Transvestiten“, wie man damals zu sagen pflegte. Heute würden manche von ihnen vielleicht als transgeschlechtliche Frauen andere als Transvestiten, wieder andere als Tunten leben.

Ermittlungen gegen vermutetes Netzwerk von Transvestiten

Bei einer Razzia wurden in den Räumlichkeiten der Firma Kundenmitteilungen, wie auch Adress- und Bestelllisten gefunden, woraufhin in großem Maße gegen ein vermutetes Netzwerk von Transvestiten ermittelt wurde. Ich verschwand im Aktenwust und damit in Geschichten von Angst, Trauer, Verrat und Leid.

Es war seltsam diesen bereits toten Menschen durch die Brille nationalsozialistischer Polizeiakten zu begegnen, denn die wahren Menschen hinter diesen von Hass getippten Protokollen konnte ich nur schwer erahnen. Wer waren diese Menschen wirklich? Wovon haben sie geträumt und was empfanden sie, wenn sie die Kleidung von Hella Knabe anlegten? Wie sahen ihre Gesichter aus und gab es ein Parfum, das sie mochten? Welche waren ihre Lieblingsblumen? Welche Musik hörten sie? Welche Bücher lasen sie?

Die Berichte zeichneten nur mechanische, statische Bilder „sozial gestörter Perverser“. Und doch, immer wieder zwischen den Zeilen schimmerte mir etwas von den Menschen entgegen.

Die Staatspolizei verhörte den Menschen, der  im Verdacht stand, Transvestit zu sein

Wie ein Mensch, der sich bei Hella Knabe ein Strumpfband, aus grüner Seide und mit einer Schleife versehen, bestellt hatte. Somit tauchte die Adresse in den Bestelllisten auf und führte die Staatspolizei direkt in sein Wohnzimmer, wo sie ihm das Strumpfband wegnahmen. Ein einziges Strumpfband aus grüner Seide und doch so viel Macht: Die Staatspolizei persönlich kam vorbei und entwendete es, verhörte den Besitzer, der nicht nur im Verdacht stand Transvestit zu sein, sondern auch einem größeren Netzwerk von Perversen anzugehören.

Für mich hat dieses Strumpfband eine noch viel größere Macht entfaltet, denn es schlug eine Brücke zwischen mir 2019 und diesem Menschen 1938.

Die Freude an Weiblichkeit, in der die kleine Hoffnung auf Freiheit schlummert, die immer wieder genommen werden soll, verband mich symbolisiert durch dieses Stückchen Stoff mit ihm. Es schlägt Brücken zwischen all den transgeschlechtlichen Frauen, Femmes und Effeminierten dieser Welt. Wir alle sind in Besitz eines solchen Strumpfbandes aus grüner Seide. Etwas unscheinbares und verspieltes …. Es steht für Hoffnung.

Für die Hoffnung auf ein bisschen Glück in einer Welt, die uns konsequent sagt, dass wir schlecht, krank, falsch sind. Es steht für die Hoffnung darauf, schön und stark zu sein. Für die Hoffnung auf Geborgenheit und eine erstrebenswerte, lebenswerte Zukunft.
Zu wissen, dass es Menschen vor mir gab, die um eine solche bessere Welt gerungen haben. Deren Sehnen und Suchen ich mich im tiefen Herzen verbunden fühle, gibt mir ein Gefühl von Wahlfamiliengeschichte.

Ich danke Dr. Rainer Herrn für den Hinweis auf das Aktenkonvolut zu „Hella Knabe“ und dem Landesarchiv Berlin für die freundliche Unterstützung bei der Recherche.