Queer Thinking & 100 Jahre Institut für Sexualwissenschaft

Ein weiteres Highlight der Queeren Kulturwochen „Somewhere Over The Rainbow“ des Queeren Kulturhauses – E2H liegt hinter uns: Über 200 Gäste kamen am Samstag in die Galerie PS 120, um sich eins oder mehrere der fünf Panels von insgesamt 20 Teilnehmer*innen unter dem Motto „Sexualpolitik kontrovers“ anzuhören und mitzudiskutieren. Etwa zum Thema: Queerer Furor oder Harmoniesauce. Was bringt uns voran? oder Die Regulierung queerer Repräsentationen in aktuellen Serien.

e2h Berlin

Foto: Doris Achelwilm/Facebook

Die Sprecherin für Queer-, Gleichstellungs- und Medienpolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, Doris Achelwilm, hat für unsere Queer Thinking-Veranstaltung ein Grußwort verfasst, das hier nachzulesen ist.

Zu den Teilnehmer*innen gehörten u. a. die Gründerin der liberalen Ibn Rushd-Goethe Moschee, Seyran Ateş, das Folsom-Vorstandsmitglied, der schwule Schornsteinfegermeister Alain Rappsilber, die Bundessprecherin der Grünen Jugend Ricarda Lang, die sich gegen Hate Speech und Bodyshaming einsetzt, sowie Carsten Schatz, der für die LINKE im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, und Ex-Pirat Bernd Schlömer: Das Thema des FDP-Fraktionssprechers für Bürgerrechte schlug eine Brücke in die nicht-queere Gesellschaft: Selbstaufforderung an den heterosexuellen Mann: Wie kann Allyship im parlamentarischen Kontext aussehen?

Eine sexuelle Revolution für den Islam!

Pünktlich um 10.30 Uhr begann der Diskussionsmarathon, rund 40 Menschen schon am Samstagvormittag gekommen. Das erste Panel zum Thema „Sexualpolitik und Religion“ bestritten u.a. die Siegessäule-Kolumnistin Doris Belmont und Seyran Ateş, die eine sexuelle Revolution für den Islam forderte. Sie zitierte den Arzt und Sexualforscher Wilhelm Reich, der 1945 geschrieben hatte: Viele Menschen wollen die Ehe für nichts anderes als die Erlaubnis, Geschlechtsverkehr haben zu dürfen. Das kenne sie von vielen türkischen und arabischen Paaren, denen sie heute als Anwältin begegnet. Wobei es ihr nicht nur um den Islam ging. „Jede Religion will das Thema Sex regeln“, erklärte Ateş. Basis der Religionen und auch der gesellschaftlichen Realität sei immer noch das Patriarchat. Einigkeit bestand in diesem Panel darüber, dass die Säkularisierung in Deutschland entschlossener durchzusetzen sei.

Sind schwule Männer privilegiert?

Kontrovers ging es u. a. bei der Frage zu, ob schwule Männer im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der LGBTIQ-Community Privilegien genössen. Peter Rausch der philosophisch-geistige Urvater der Homosexuelle Interessengemeinschaft (Ost-)Berlin (HIB), wehrte sich vehement diese These, während der LINKE-Abgeordnete Carsten Schatz dagegenhielt: Ist unser Schwulsein erstmal kein Thema, profitieren wir als Männer sehr wohl. Und der Archivleiter des Schwulen Museums, Peter Rehberg, der als Zuhörer gekommen war, erklärte: Es sei nicht leicht, sich gleichzeitig als Diskriminierter und Diskriminierender zu verstehen.

Abschaffung des Geschlechts – droht eine neue Repression?

Zu kontroversen Diskussionen kam es auch nach dem Input von E2H-Vorständin Christiane Härdel, die eine zunehmende Diagnose der Genderdysphoria bei Kindern, insbesondere Mädchen, mit z. T. irreversiblen Behandlungskonsequenzen kritisierte. Sie appellierte an einen Schulterschluss in der Community gegen diese in den USA und Großbritannien geübte Praxis, die zunehmend auch in Deutschland Anhänger*innen fände. Sie wies auf die konservative Auslegung des Geschlechtsrollenverhaltens in der Gender-Definition hin, auch in den Yogyakarta-Principles. Die Teilnehmerinnen im Publikum diskutierten, wie Solidarität zwischen Lesben und Transmenschen aussehen könnte. Transfrauen merkten an, dass sie als Frauen* akzeptiert werden wollen. Lesben drückten aus, dass biologische Frauen weiter auch exklusive Räume und Services brauchen und sich nehmen – aber dies nichts an regenbogenbunter Geschwisterlichkeit und Solidarität der Lesben ändert.

Bis 20 Uhr wurde teils hitzig, teils kontrovers diskutiert. Rund 210 Zuschauer*innen fanden im Laufe des Tages den Weg ins PS120. Und E2H-Vorstand Jan Feddersen erklärte am Ende zufrieden: Das machen wir nächstes Jahr wieder!